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Ein ungewöhnliches Architektenleben

16. März 2006

Nachruf für Sigrid Hofmann (1917-2006)

Sigrid Renate Hofmann, geb. Pannenberg, 10. Februar 1917 bis 13. März 2006

Am 13. März 2006 verstarb in ihrem Haus in Wiesbaden unsere Kollegin Sigrid R. Hofmann, deren Berufsleben nur als außergewöhnlich bezeichnet werden kann. Sie gehörte 1947 – noch unter Ihrem Mädchennamen Voigt – zu den Wiedergründern des BDA in Niedersachsen, wurde dort seit 1956, damals arbeitete sie in Marokko bei der amerikanischen Luftwaffe, als außerordentliches Mitglied geführt und – wohl weil sie sich später nicht mehr meldete – am 31. Dezember 1993 gelöscht. Sie lebte da aber schon seit 36 Jahren in Wiesbaden.

Im Freundeskreis um das hessische BDA-Ehrenmitglied Helmut Hofmann, geb. 9.Februar 1907, – nicht mit Sigrid Hofmann verwandt – lernten wir sie als außerordentlich lebendige und sehr gut informierte Kollegin kennen. Als wir von ihrer BDA-Vergangenheit erfuhren baten wir sie, doch in der Wiesbadener Gruppe mitzuarbeiten, was sie in ihrer sehr spontanen Art auch sofort realisierte. Zu ihrem Wiedereintritt – ihr war nicht bekannt, dass ihre Mitgliedschaft je gelöscht worden war – am 1. August 2002, übergab sie einen „Professional record“ der die ungewöhnlichen Stationen ihres Architektinnen – Lebensweges – als Architektin und nichtarchitektin – auflistet. Da sie diesen Weg viel lebendiger schildert, als dies in einem Nachruf geschehen kann, soll der Text hier im Wortlaut folgen.

„Professional record“ – Beruflicher Werdegang
Geboren am 10.Februar 1917 in Hannover. Ostern 1936 Abitur an dem Ost-Oberlyzeum Hannover. Anschließend Arbeitsdienst (Pflicht für Studienanwärterinnen) in Getelomoor, Emsland (Acker- und Landarbeit, ein großes Erlebnis für Stadtkinder).

Wintersemester 1936 bis September 1939
Studium der Architektur an der TH Hannover. In den Semesterferien Praktikantenarbeit als Maurer (Firma Tegtmeyer) und Architekturbüros Heinrich Stille, Hannover und Fritz Komossa in Osnabrück. Frühe Zulassung zum Hauptexamen durch Wahrnehmung der Gelegenheit „Zwischensemester“ in den Ferien zu nutzen.

September 1939 Studienabschluss als Dipl.-Ing. Fachrichtung Architektur.

Januar 1940 bis August 1943
Anstellung im Architekturbüro Konstanty Gutschow, Hamburg. Analytische und statistische Vorbereitung der „Neugestaltung des Elbufers“ (Wettbewerb von Gutschow gewonnen). Entwurfsarbeit für die Straßenmeisterei Oldesloe und die Autobahnraststätte Brunautal. Entwurfsbearbeitung für die Norderelbe- und die Fehmarnsund-Brücken der Reichsautobahn. Rudolf Hillebrecht hatte damals die Stellvertreter Position für Gutschow, der seinerseits für „kriegswichtigen Einsatz“ eingesetzt wurde.

Juli 1943 bis Februar 1944
Nach totaler „Ausbombung“ meiner Habe beim ersten der fünf Großangriffe im Juli 1943 auf Hamburg, kehrte ich kurz vor der offiziellen Evakuierung des Gutschow Büros in mein Elternhaus zurück, wo ich – durch pflichtgemäßes „Brandbekämpfungs- Training“ in Hamburg geschult – rittlings auf dem Dachfirst den Löschwasserstrahl lenkend unser Haus vom Niederbrennen retten konnte. Die immensen Schäden der Oktobernächte (Dachstuhl und Obergeschoss des Nachbarhauses waren „hin“) bewogen mich in diesen Zeiten, da nicht gebaut, sondern nur „abgebaut“ wurde, ein kleines Bauunternehmen (im Scherz „Flickkommando“ genannt) zu gründen, um in eigener Regie die Beseitigung von Bombenschäden zu leisten. Mit meinem Trupp von Kriegsgefangenen (Belgier und Franzosen) haben wir mit diesem „Kommando“ 53 Dächer neu erstellt oder repariert und viele andere Schäden beseitigt. Warnungen vor der Illegalität dieser Tätigkeit wurde freundlich entgegengewirkt mit Eintrag „Polier“ in meinem „Arbeitsbuch“ durch den Zimmermeister Martin aus Hannover. Mein Arbeitstag begann um fünf Uhr morgens, wenn ich mit meiner „Zementschaukel“ (ein uraltes Sperrmüllfahrrad) in der mir nur verbliebenen alten Maurerlehrlingskluft zum Gefangenenlager aufbrechen musste, um meine Mitarbeiter abzuholen. In besonders prekären Lagen hatte der Bewacher, mein Kunstmaler-Freund Keller, einen Tunnel unter dem Maschendraht geschaffen. Beispielsweise auch an Weihnachten 1943, sodass wir alle zusammen unter dem Christbaum feierten, trotz des strikten „Fraternisierungsverbotes“. Mein Gewinn war eine exzellente sprachliche Vervollkommnung.

Februar 1944 bis Juni 1945
Ich arbeitete als Vollassistent unter Prof. Dr. Ing. Fiederling an der TH Hannover. Neben den normalen administrativen Arbeiten, hatte ich Prof. Fiederling in seinen Privataufträgen zu assistieren, zum Beispiel bei An- und Umbauten des in Hannover ansässigen deutschen Erdöl-Instituts, sowie Bombenschaden-Beseitigung (durch mein „Flickkommando“) an der Uni selbst. Während dieser Tätigkeit übernahm mein bester belgischer Mitarbeiter George Maloy aus Mons die Regie unseres “ Flickkommando-Teams“ unter meiner Leitung.

Juni 1945 bis Februar 1946
Anlässlich eines durch völlig neutrale Umstände veranlassten politischen Streitgespräches mit Besatzungs-Repräsentanten, wurde mir als baufachkundiger, leidlich sprachgewandter und politisch „unbelasteter“ Person, die ihre Meinung auszusprechen gewohnt war, die Aufgabe zur Wiederbelebung von Fachliteratur angetragen. Es hieß, man wolle aus Sorge vor Ressentiments versuchen, bei dieser Arbeitsstelle einer hiesigen Fachkundigen den Vorzug geben vor dem, von der britischen Regierung vorgeschlagenen Emigranten. Der Aufgabenbereich dehnte sich bald aus auf die Wiederbelebung der Norddeutschen Tagespresse (Hannoverscher Kurier, Lüneburger und Osnabrücker Tageszeitungen). Dazu kam die spezielle Aufgabe ein offenes Leserbrief-Forum einzurichten mit täglichen Redaktionsbesprechungen zur Formulierung der Antworten, denn jeder Leserbrief an die Redaktion wurde beantwortet. Mein Gewinn wiederum: exzellente Vervollkommnung meiner Sprachkenntnisse.

Februar 1946 bis September 1947
Auf Anregung von Kollegen wurde ich als Dezernatsleiterin im G.E.A.B (German Economic Advisory Board), Deutscher Wirtschaftsrat im Zentralamt für Wirtschaft in der britischen Zone empfohlen und war zuständig für die Energiezuteilung an die Baustoffproduzierende Industrie und die Verfassung eines neuen deutschen „control & licensing“ Verfahren im Städtebau. Eine hochinteressante und arbeitsintensive Arbeit, die ich, sowie Rudolf Hillebrecht, der stellvertretender Amtsleiter geworden war, aufzugeben gezwungen war, als unser Amt dem Wirtschaftsdezernat unter Dr. Agartz unterstellt, von diesem Herrn vor die Wahl gestellt wurde seiner Partei (SED-Vorläufer) beizutreten, oder…? Allerdings konnten Hillebrecht und ich noch vor unserem Ausscheiden durch Aufruf an interessierte Kollegen die Neugründung des BDA in Bad Pyrmont erreichen.

September 1947 bis Dezember 1948
In Wartestellung für eine neue berufliche Chance in jenem harten Herbst und Winter an Lungenentzündung erkrankt, konnte ich zur Heilung zu Verwandten in die Schweiz zu reisen. Nach meiner Genesung in einer Berghütte bekam ich bei Dipl. Architekt Walter Wehrli in Weesen eben diese berufliche Chance. Ich erstellte ein Projekt für ein Wohn- und Geschäftshaus mit Garagen sowie Projektskizzen für einen Ausbau des Café „Mariasee“ in Weesen, bis leider die Arbeitsbewilligung in der Schweiz versagt wurde. In diese Zeit fiel der Gründungskongress der UIA in Lausanne, an dem ich wegen meiner BDA Mitgliedschaft – zwar damals noch ohne Landesverband – als Einzelperson teilnehmen konnte. Ein großartiges Erlebnis, mit Perret und Vago zusammenzutreffen und durch Angebote aus Südafrika (Mr. Backhouse) und USA (Mr.Walker, Präsident des AIA) sich neue berufliche Horizonte öffnen zu sehen, denn meine Bemühungen in Deutschland schlugen alle fehl. Der „Bau“ lag noch danieder. Da das Südafrika-Angebot einherging mit der Verpflichtung die dortige Staatsangehörigkeit anzunehmen, entschied ich mich schweren Herzens für die USA, obwohl ich für dieses Land keine besonderen Sympathien hegte – seit meiner Kindheit war ich eher an fernöstlicher Kultur interessiert.

Heilig Abend 1948
Ankunft per „D-Deck“ in New York auf der SS Washington. Das Geld für die Überfahrt hatte ich zusammengekratzt durch das Handfertigen von aquarellierten Grußkarten, die damals mit 0,90 Schweizer Franken das Stück hoch dotiert waren. In New York angekommen war – oh Schreck! – das Architekturbüro Walker sowie alle in Frage kommenden Kollegen auf Weihnachtsurlaub, (ich kam vor Angst ohne Ankündigung) und mit nur noch fünf Dollar in der Tasche hielt ich mich bis zum 17. Januar als Hausmädchen über Wasser (New York-Times ads).

Januar 1949 bis April 1951
Am 17. Januar ergab sich eine Anstellung als „job captain“ im Büro Lorimer Rich & Associates. Zuerst, ein Fehlschlag: „design“ für das Grabmal des unbekannten Soldaten des 2.Weltkrieges im Arlington National Memorial Park. (Herr Rich war der Meinung, dass ich – in Europa ausgebildet – mich bestens verstünde auf antike Säulenstellungen und Schnörkel. Fehlanzeige!) Zudem machte ich ihm klar, dass es doch wohl absurd sei, eine Deutsche mit diesem Auftrag zu betrauen. Dann allerdings kamen hochinteressante Aufgaben als „job captain“: Entwurf und Durchführung von der damals im Aufbau befindlichen University of Syracuse, nördlich von New York., Bibliothek des „lawcollege“ der juristischen Fakultät, das „dormitory for women“ und andere.

Frühjahr 1951
Abflug nach Hannover, um an der ersten „Constructa“ teilzunehmen und einen erneuten Versuch zu unternehmen, in Deutschland wieder Fuß zu fassen. Während eines fachlichen Symposiums unter Hillebrechts Regie kam ich zwischen Walter Gropius und den bekannten, während der Hitlerzeit in die Türkei ausgewanderten, Architekten Bonatz (berühmt durch das Grabmal für Atatürk und den Hauptbahnhof in Ankara) zu sitzen. Gropius interessierte sich für meine eventuelle Mitarbeit bei der Bauleitung (Übersetzung und Übertragung vom Zoll- zum metrischen System) eines von seinem Büro in Boston entworfenen „Wohnhaus Stichweh“. Leider fand sich ein schon in Hannover ansässiger Kollege, diese Arbeit zu übernehmen.

Oktober 1951 bis Juli 1952
Nach einem Appell des AIA (American Institute of Architects) übernahm ich die Vertretung des Architekten Aloysius McDonald in Las Vegas (damals ein verschlafenes Kleinstädtchen), der sich für längere Zeit in ärztliche Behandlung in Kanada befinden würde. Da ich in San Francisco Verwandte hatte und Amerika nicht verlassen wollte, ohne den Westen besucht zu haben, nahm ich das Angebot an: eine Feuerwehrwache, ein Motel, kleinere auslaufende Aufträge und die Übernahme eines dubiosen Auftrages für acht Einfamilienhäuser. Letzterer, für den ich mit größtem Engagement einen schwierigen Vorentwurf fertig stellte, fiel wegen eines fehlenden, schriftlichen Vertragsabschluss ohne Honorar „ins Wasser“.

Juli 1952 bis April 1953
Flucht nach San Francisco, wo ich das Glück hatte Partnerin in einer Architekten/ Landesplaner-Gemeinschaft zu werden mit schönsten Aufträgen in Carmel und der Gegend um Palo Alto. Da sich die Geburt unseres Sohnes angekündigt hatte, beschlossen mein Mann (er war auch Architekt) und ich, eine gut dotierte Position in „Übersee“ anzustreben, um die Gründung eines eigenen Architektur-Büros zu finanzieren. So verschlug es uns nach Marokko (Casablanca), wo das damalig noch aktive NATO-Mitglied Frankreich Aufträge in Nouasseur, Ben Gerier, Sidi Slimain und Boulhot zu erledigen hatte. En route nach Casablanca erblickte unser Sohn Arick das Licht der Welt.

Ende 1953 bis Juni1957
Ende des Jahres 1953 wurde der Fünf-Jahres-Vertrag meines Mannes wegen politischer Wirren vorzeitig beendet (Mohammed V kam aus dem Exil zurück, komplimentierte die französische „Besatzung“ aus dem Land und übernahm die Herrschaft). Dennoch bekam ich noch in unserer Not eine Position bei der NATO-Infrastruktur, die bis zu meinem Ausscheiden für mich interessante Aufgaben bot. Nur wegen meiner technischen Ausbildung und Erfahrung sondern auch wegen meiner – durch Notzeiten – vervollkommneten Sprach -Eloquenz wurde ich bald in internationale Gremien eingesetzt. Ab 1954 war ich als Referentin für NATO-Infrastruktur bei den Luftstreitkräften innerhalb Nordafrikas tätig. Zunächst zwei Jahre in Marokko dann etwa ein Jahr in Libyen. Zu meinen Aufgaben gehörten Planung und Budgetierung von Flugplatzanlagen, Unterkünften, Ladenzentren, Werkhallen, Tank- und Hydranten-Anlagen, Clubhäusern und Gaststätten für Stationen in Marokko, Libyen, Griechenland und der Türkei. Dazu kamen Vertretung der Projekt-Interessen vor den NATO Finanz-Gremien in Paris.

Juni 1957 bis Mai 1976
Nach endlich erreichtem Ziel wieder nach Deutschland zu kommen (Umzug nach Wiesbaden im Juni 1957), wurde mir die Position der Abteilungsleiterin für NATO-Infrastruktur angeboten. Die Projekte waren ähnlich wie die für Frankreich, nur diesmal für den gesamten NATO-Bereich einschließlich Deutschland und Frankreich (bis zu De Gaulles NATO-Austritt), England und Italien. Dazu hatte ich zwei Sonderprojekte durchzuführen. Das erste betraf nach dem Eintritt Deutschlands in die NATO die Erfassung sämtlicher DM-Aufwendungen für Infrastrukturmaßnahmen der Amerikanischen Streitkräfte, die als deutscher Finanzbeitrag zur NATO rückwirkend bis zur Zeit ihrer Gründung gewertet wurden. Demnach also mussten wir keine Nachzahlungen leisten. Das zweite Projekt war ganz ähnlich: Nach dem Austritt Frankreichs aus dem militärischen Bereich der NATO mussten sämtliche NATO Aufwendungen für entsprechende Anlagen in Frankreich, die Frankreich der NATO erstatten musste (FRELOC) erfasst werden. Als inzwischen „mehrsprachige Fachkraft“, wie man es damals nannte, konnte ich mich diesem recht mühseligen Auftrag nicht entziehen, alte, verstaubte Aktenordner auf deutschen und französischen Finanzamt-Dachböden zu sichten (dafür wurde ich aber auch ausgezeichnet). Diese doch recht lange Periode bot zwar wenig Chance für architektonische Kreativität, dafür aber eine erhebliche Horizonterweiterung und das Kennenlernen vieler Länder. Im Sommer 1967 hatte ich das Glück, den „Pausewang-Kindergarten“ beim Bierstädter Wartturm erweben zu können und ihn durch umfängliche An- und Umbauten zu einem netten kleinen Wohnhaus für uns zu machen. Außerdem konnte ich einige kleinere Planungsaufgaben übernehmen – natürlich ohne Bauleitung, denn die hätte sich mit meiner Hauptarbeit nicht verwirklichen lassen.

September 1976 bis Ende 1977
In dieser Zeit war ich als Prokuristen tätig in der Busse Kunst Dokumentation GmbH und wirkte von Beginn bis zum Erscheinen des voluminösen „Busse-Verzeichnisses“ (Maler und Bildhauer des 19.Jahrhunderts) mit.

1989 bis 1990
In diesen zwei Jahren habe ich mit meinem Sohn, einem Bauingenieur, bei Freunden in New England noch einmal ein Wohnhaus gebaut. Eine ganz lustige Geschichte. Ich machte den Entwurf hier in Wiesbaden, war bestens mit der Lage vertraut und mit Vermessungsunterlagen versehen und habe von einer Fertigbau-Firma das Hauptgeschoss modular, das Obergeschoss und das Dach in Panelbauweise nach meinen Plänen fertigen lassen. Zum Aufbau der Fundamente und des Untergeschosses flogen wir in die USA, wo mein Sohn die Bauführung übernahm und danach noch einen selbst entworfenen, sehr schönen zweigeschossigen Wintergarten (Redwood und Isolierglas) selbst errichtete.

Der Freundeskreis um Helmut Hofmann und die Bezirksgruppe Wiesbaden trauern um einen wertvollen Menschen, der das Miteinander sehr gefördert hat.

Franz Josef Hamm

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